Schalmei: Unterschied zwischen den Versionen
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Die nach ihrem Erfinder Max B. Martin benannte '''Martinstrompete''' entstand Anfang des 20. Jahrhunderts als Signalinstrument und wird als eigenständiges Musikinstrument auch '''Schalmei''' genannt. Mit der Schalmei als historischem Doppelrohrblattinstrument ist das Einfachrohrblattinstrument instrumentenkundlich nicht verwandt, nur der durchdringende Klang hat gewisse Ähnlichkeiten. | |||
== Entstehung == | |||
Am 16.08.1927 erteilte das Reichspatentamt Max B. Martin in Markneukirchen das Patent für ein „Blasinstrument mit einer Anzahl selbstständiger mit Zungenstimmen versehener Tonerzeuger“. | Am 16.08.1927 erteilte das Reichspatentamt Max B. Martin in Markneukirchen das Patent für ein „Blasinstrument mit einer Anzahl selbstständiger mit Zungenstimmen versehener Tonerzeuger“. | ||
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Bemerkenswert ist, dass das 1911 patentierte Instrument von der Funktion und der Konstruktion her exakt jenem entspricht, das 1927 patentiert wurde und von da sich rasch durchsetzte. Der Unterschied lag einzig darin, dass das spätere Modell zum Spiel von Einzeltönen (Melodiespiel) gedacht war. Es wurden von Beginn der Serienfertigung an beide Typen nebeneinander gebaut und für die voll besetzten Schalmeienkapellen noch heute benutzt. | Bemerkenswert ist, dass das 1911 patentierte Instrument von der Funktion und der Konstruktion her exakt jenem entspricht, das 1927 patentiert wurde und von da sich rasch durchsetzte. Der Unterschied lag einzig darin, dass das spätere Modell zum Spiel von Einzeltönen (Melodiespiel) gedacht war. Es wurden von Beginn der Serienfertigung an beide Typen nebeneinander gebaut und für die voll besetzten Schalmeienkapellen noch heute benutzt. | ||
Man unterscheidet | == Tonerzeugung == | ||
Der Ton wird mit einer aufschlagenden Zunge durch Atemluftdruck des Bläsers erzeugt, eine Resonanzröhre mit angedeutetem Schallbecher dient unterstützend zur Erzeugung eines höhenmäßig definierten Tones, der auch dynamisch nicht verändert werden kann. Mitunter wird als Mundstück das einer Trompete verwendet, was physisch nicht notwendig ist, da die Lippen des Bläsers nicht wie bei Blechblasinstrumenten schwingen dürfen. Ebenso kann die Luft durch ein flaches, ovales, in den Mund genommenes Rohr geblasen werden. | |||
== Unterscheidung == | |||
=== Signalinstrumente === | |||
Im einfachsten Fall hat das Rufhorn („Hupe“) nur einen Ton und benötigt damit, im Gegensatz zum mundangeblasenen zweitönigen Folgetonhorn, kein Umschaltventil. Da beide vordergründig als Signalhorn verwendet werden, gibt es auch Rufhörner mit zwei Tönen, die jedoch nur wenige Cent nebeneinanderliegend auf „Schwebung“ (auch Tremolo genannt) gestimmt sind und dadurch einen noch lauteren Höreindruck vermitteln. | |||
In der frühen Zeit der „Automobilisten“ nach 1900 wurde die Ballhupe mit aufschlagender Tonzunge eingesetzt. Die Martin-Trompete als Vorgänger des automatischen Folgetonhorns wurde als sogenannte „Kaiserfanfare“ berühmt, deren Signal „bald hier, bald dort“ ein Fahrzeug der kaiserlichen Familie ankündigte. | |||
=== Musikinstrument === | |||
Martinstrompeten als Musikinstrumente entstanden ab 1905 und bestehen aus fünf bis sechzehn gebündelten Einzelhupen, die durch ein Ventilsystem jeweils eine oder drei Schallröhren mit der festgelegten Tonhöhe auswählen. Da das Instrument robust konstruiert ist, keine besondere Anblastechnik benötigt und nur geringe Notenkenntnisse voraussetzt, ist es ideal geeignet, auch von Anfängern erlernt und gespielt zu werden. | |||
Man unterscheidet zudem zwischen den 8-tönigen, diatonischen Schalmeien (nur ganze Töne) und den 16-tönigen chromatischen Schalmeieninstrumenten (ganze Töne und halbe Töne). Es gibt Instrumente, die nur Einzeltöne für Melodie und Nebenstimmen spielen können, und es gibt Begleitinstrumente, die zwischen zwei oder vier mehrtönigen Begleitakkorden wechseln können. | |||
== Schalmeienkapellen == | |||
Ab 1920 begannen viele Turn- und Radfahrvereine sowie Freiwillige Feuerwehren sogenannte Martin-Kapellen zu gründen. Auch in der Arbeiterbewegung spielte die Martinstrompete als „Schalmei“ eine besondere Rolle. In den Bergmannsrevieren und Industrieballungsgebieten Deutschlands gründeten sich nach dem Ersten Weltkrieg Arbeitermusikvereine, die als „Schalmeienkapellen“ bei Demonstrationen und Kundgebungen der Arbeiterbewegung Arbeiterlieder spielten. Beim Roten Frontkämpferbund spielten die Schalmeien-Kapellen eine zentrale Rolle. Auch Erich Honecker spielte in seiner Jugend beim Roten Frontkämpferbund Schalmei – 1987 schenkte er dem westdeutschen Rockmusiker Udo Lindenberg ein Instrument als Reaktion auf dessen Geschenk einer Lederjacke. | |||
Einzig Horst Wessel durchbrach mit einer Ausnahmegenehmigung seines Förderers Joseph Goebbels das linke Monopol und erstellte eine nationalsozialistische Schalmeien-Kapelle. Viele dieser Schalmeienkapellen wurden 1933 nach der Machtergreifung Hitlers aufgelöst, bildeten sich aber nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 wieder neu. | |||
Heute bestehen deutschlandweit viele Schalmeienkapellen, die sich in örtlichen Vereinen organisieren und öffentlich auf Festen und zu Umzügen (u. a. bei Fastnachtsveranstaltungen) musizieren. Begleitet werden die Schalmeien üblicherweise von diversen Schlaginstrumenten, teils auch Querpfeifen. | |||
In der ehemaligen DDR wurden die Kapellen wie auch die Spielmanns- und Fanfarenzüge möglichst vereinheitlicht und organisiert. Die Besetzung war vorgegeben, Instrumente wurden zentral beschafft. [[Große Trommel]], [[Marschtrommel]], [[Marschbecken]] und [[Lyra]] entsprach denen der Spielmannszüge. Kleidung je nach Organisation (FDJ, DTSB). Die im Sport organisierten Kapellen hatten ebenso ihre [[Wettkämpfe]] und Leistungsvergleiche bis hin zur [[DDR-Meisterschaft]]. | |||
Nach der Deutschen Wiedervereinigung waren insbesondere die Schalmeienkapellen sehr schnell damit, diese Vereinheitlichung abzulegen. Statt Marschmusik im Gleichschritt wurde zu Stimmungsmusik gewechselt. Vereinzelt wurden aber [[Pflichtmarsch|Pflicht-Märsche]] zum gemeinsamen Spiel beibehalten und auch Wettkämpfe finden im Rahmen der [[Landesmeisterschaft|Landesmeisterschaften]] teilweise noch statt. | |||
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Version vom 19. Juni 2024, 11:25 Uhr
Die nach ihrem Erfinder Max B. Martin benannte Martinstrompete entstand Anfang des 20. Jahrhunderts als Signalinstrument und wird als eigenständiges Musikinstrument auch Schalmei genannt. Mit der Schalmei als historischem Doppelrohrblattinstrument ist das Einfachrohrblattinstrument instrumentenkundlich nicht verwandt, nur der durchdringende Klang hat gewisse Ähnlichkeiten.
Entstehung
Am 16.08.1927 erteilte das Reichspatentamt Max B. Martin in Markneukirchen das Patent für ein „Blasinstrument mit einer Anzahl selbstständiger mit Zungenstimmen versehener Tonerzeuger“.
Das Konstruktionsprinzip der Martintrompeten ist relativ einfach: Mehrere Eintoninstrumente mit aufschlagenden Zungen werden in ein Instrument zusammengefasst. Die einzelnen Tonröhren lassen sich mittels mehrerer (Périnet-)Ventile wahlweise ein- und ausschalten. Instrumentenkundlich gesehen handelt es sich mithin um ein Aufschlaginstrument.
Einton-Signalinstrumente waren schon länger in Gebrauch, z.B. bei Türmern, Jägern und Wildhütern, sowie in der Industrie. Nach 1900 kamen die Automobilisten dazu. Hier begann es mit der Hand betätigten Einzelhupe (Ballhupe), doch bestand Bedarf nach einem Gerät, mit dem gleichzeitig mehr als ein Ton und damit ein gewisser Wohlklang produziert werden konnte.
Dem entsprach ein am 24.12.1911 patentiertes Instrument von M. B. Martin.
Dieses mehrtönige Muster (Akkordinstrument), ausgestattet mit Ventilen, gab Max B. Martin an den damaligen Kaiser Wilhelm II. und erhoffte sich eine Verkaufsgrundlage. Es kam jedoch anders. Der Monarch verlangte es für sich, da blieb das Geschäft aus. In seinem Automobil fuhr ein Trompeter mit, der auf der „silbernen Kaiserfanfare“ das Heranfahren des Herrschers bei besonderen Anlässen ankündigen musste.
Bemerkenswert ist, dass das 1911 patentierte Instrument von der Funktion und der Konstruktion her exakt jenem entspricht, das 1927 patentiert wurde und von da sich rasch durchsetzte. Der Unterschied lag einzig darin, dass das spätere Modell zum Spiel von Einzeltönen (Melodiespiel) gedacht war. Es wurden von Beginn der Serienfertigung an beide Typen nebeneinander gebaut und für die voll besetzten Schalmeienkapellen noch heute benutzt.
Tonerzeugung
Der Ton wird mit einer aufschlagenden Zunge durch Atemluftdruck des Bläsers erzeugt, eine Resonanzröhre mit angedeutetem Schallbecher dient unterstützend zur Erzeugung eines höhenmäßig definierten Tones, der auch dynamisch nicht verändert werden kann. Mitunter wird als Mundstück das einer Trompete verwendet, was physisch nicht notwendig ist, da die Lippen des Bläsers nicht wie bei Blechblasinstrumenten schwingen dürfen. Ebenso kann die Luft durch ein flaches, ovales, in den Mund genommenes Rohr geblasen werden.
Unterscheidung
Signalinstrumente
Im einfachsten Fall hat das Rufhorn („Hupe“) nur einen Ton und benötigt damit, im Gegensatz zum mundangeblasenen zweitönigen Folgetonhorn, kein Umschaltventil. Da beide vordergründig als Signalhorn verwendet werden, gibt es auch Rufhörner mit zwei Tönen, die jedoch nur wenige Cent nebeneinanderliegend auf „Schwebung“ (auch Tremolo genannt) gestimmt sind und dadurch einen noch lauteren Höreindruck vermitteln.
In der frühen Zeit der „Automobilisten“ nach 1900 wurde die Ballhupe mit aufschlagender Tonzunge eingesetzt. Die Martin-Trompete als Vorgänger des automatischen Folgetonhorns wurde als sogenannte „Kaiserfanfare“ berühmt, deren Signal „bald hier, bald dort“ ein Fahrzeug der kaiserlichen Familie ankündigte.
Musikinstrument
Martinstrompeten als Musikinstrumente entstanden ab 1905 und bestehen aus fünf bis sechzehn gebündelten Einzelhupen, die durch ein Ventilsystem jeweils eine oder drei Schallröhren mit der festgelegten Tonhöhe auswählen. Da das Instrument robust konstruiert ist, keine besondere Anblastechnik benötigt und nur geringe Notenkenntnisse voraussetzt, ist es ideal geeignet, auch von Anfängern erlernt und gespielt zu werden. Man unterscheidet zudem zwischen den 8-tönigen, diatonischen Schalmeien (nur ganze Töne) und den 16-tönigen chromatischen Schalmeieninstrumenten (ganze Töne und halbe Töne). Es gibt Instrumente, die nur Einzeltöne für Melodie und Nebenstimmen spielen können, und es gibt Begleitinstrumente, die zwischen zwei oder vier mehrtönigen Begleitakkorden wechseln können.
Schalmeienkapellen
Ab 1920 begannen viele Turn- und Radfahrvereine sowie Freiwillige Feuerwehren sogenannte Martin-Kapellen zu gründen. Auch in der Arbeiterbewegung spielte die Martinstrompete als „Schalmei“ eine besondere Rolle. In den Bergmannsrevieren und Industrieballungsgebieten Deutschlands gründeten sich nach dem Ersten Weltkrieg Arbeitermusikvereine, die als „Schalmeienkapellen“ bei Demonstrationen und Kundgebungen der Arbeiterbewegung Arbeiterlieder spielten. Beim Roten Frontkämpferbund spielten die Schalmeien-Kapellen eine zentrale Rolle. Auch Erich Honecker spielte in seiner Jugend beim Roten Frontkämpferbund Schalmei – 1987 schenkte er dem westdeutschen Rockmusiker Udo Lindenberg ein Instrument als Reaktion auf dessen Geschenk einer Lederjacke. Einzig Horst Wessel durchbrach mit einer Ausnahmegenehmigung seines Förderers Joseph Goebbels das linke Monopol und erstellte eine nationalsozialistische Schalmeien-Kapelle. Viele dieser Schalmeienkapellen wurden 1933 nach der Machtergreifung Hitlers aufgelöst, bildeten sich aber nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 wieder neu.
Heute bestehen deutschlandweit viele Schalmeienkapellen, die sich in örtlichen Vereinen organisieren und öffentlich auf Festen und zu Umzügen (u. a. bei Fastnachtsveranstaltungen) musizieren. Begleitet werden die Schalmeien üblicherweise von diversen Schlaginstrumenten, teils auch Querpfeifen.
In der ehemaligen DDR wurden die Kapellen wie auch die Spielmanns- und Fanfarenzüge möglichst vereinheitlicht und organisiert. Die Besetzung war vorgegeben, Instrumente wurden zentral beschafft. Große Trommel, Marschtrommel, Marschbecken und Lyra entsprach denen der Spielmannszüge. Kleidung je nach Organisation (FDJ, DTSB). Die im Sport organisierten Kapellen hatten ebenso ihre Wettkämpfe und Leistungsvergleiche bis hin zur DDR-Meisterschaft.
Nach der Deutschen Wiedervereinigung waren insbesondere die Schalmeienkapellen sehr schnell damit, diese Vereinheitlichung abzulegen. Statt Marschmusik im Gleichschritt wurde zu Stimmungsmusik gewechselt. Vereinzelt wurden aber Pflicht-Märsche zum gemeinsamen Spiel beibehalten und auch Wettkämpfe finden im Rahmen der Landesmeisterschaften teilweise noch statt.